Eine Frage des richtigen Timings (2/4)


Das letzte Mal ging es um die Zählmethode, welche dir hilft eine Art Raster zu verinnerlichen, auf welchem du deine Note platzierst. Dabei ist klar geworden, dass ihre Grenze dort verläuft, wo du die Aufmerksamkeit vom „Wann“ auf das „Wie“ des Spielens lenkst. Denn auch wenn dir das Zählen hilft, in Time zu spielen, so ist im Zählen kein Hinweis enthalten, wie du die Noten auf unserem Instrument interpretieren. Du zählst schlicht immer dasselbe.

Hier kommt die Singmethode ins Spiel. Du hörst auf, die Zählzeiten „abstrakt“ mitzählen, sondern artikulierst, wie du spielst. Anders formuliert: Du empfindest die musikalische Phrase im Sprechen nach. Das bedeutet, dass du jeden Rhythmus anders singst, um seinen einzigartigen Klang und seine individuelle Rhythmik zu verinnerlichen.

Dies klingt in deinen Ohren vielleicht wie eine gewaltige Aufgabe. Aber umso häufiger du die Methode anwendest, umso mehr wirst du die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Rhythmen erkennen. Vor allem wirst du bemerken, dass es nur eine begrenzte Anzahl von Grundrhythmen gibt, welche es zu lernen und kombinieren gilt.


Singe was du spielst!

Während dir die Zählmethode die Idee von Takten und Notenwerten näherbringt, um Musik zu verstehen, betont die Singmethode die Idee von Rhythmusfiguren. Du hast damit eine andere Möglichkeit Musik zu strukturieren, zu verstehen und zu fühlen. Hier ist es wichtig, dass wir Rhythmus und Rhythmusmelodie unterscheiden

Die grundsätzliche Idee ist: Was du singen kannst, kannst du spielen! In anderen Musikkulturen (z. B. Indien und im arabischen Raum) ist es üblich, den Klang des Instruments mit der eigenen Stimme nachzubilden. Daraus haben sich komplizierte Musiksysteme entwickelt, welche als Inspirationsquelle dienen können.

Stelle dir vor, du willst Musik vermitteln und du hast nicht unser Notensystem zu Verfügung. Neben dem Vorspielen, kannst du die Rhythmusmelodie singen und aufschreiben. Hierzu bildest du die verschiedenen Klänge deines Instruments mit deiner Stimme nach. Dabei ist die erste Frage, welche verschiedenen Klänge du auf deinem Instrument zu Verfügung hast. Beginnen wir, am Beispiel des Schlagzeugs, mit vier Grundvokabeln. Verwendet man andere Vokabeln, lässt sich die Methode aber problemlos auf jedes Instrument anwenden.

Snare: TA/te

Bassdrum: Dum

Hi-Hat: tz

Toms: DA/de

Ein Beispiel:

Dum tz TA tz Dum Dum TA tz / Dum tz TA tz Dum Dum TAteteTA/

Wie du erkennen kannst, empfindest du den Klang der Trommeln und Becken mit deiner Stimme nach. Streng genommen gibt es neben diesen 4 Grundvokabeln eine Reihe weiterer möglicher Laute. Neben den fehlenden Klängen (z. B. Crashbecken, Offene Hi-hat usw.), sind es vor allem die Kombinationen der Klänge (z. B. Snare + Bassdrum: Tum), welche weitere Vokabeln bilden könnten.

Ich bin allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass die hier vorgestellten 4 Grundvokabeln ausreichen, um den Sound deines Spielens abzubilden. Warum das so ist, wird in den unten vorgeschlagenen Übungen deutlich. Wichtiger ist, dass du neben dem Klang auch die Dynamik verdeutlichst. Am Beispiel der Snare: TA als betont, te als unbetont.

Vermutlich ist dir eine Schwierigkeit der Notation bereits aufgefallen. Der Vorteil der westlichen Notenschrift ist die Möglichkeit Noten eindeutig aufzuschreiben. Das heißt, du erkennst immer, als welchen Notenwert du eine Note interpretierst. Dies bleibt hier mehr oder weniger unklar. Daher ist es sinnvoll die Noten auch weiterhin in Notenschrift aufzuschreiben.

Beispiel:


Verinnerliche die 12 Grundrhythmen

Die Singmethode orientiert sich an Grundrhythmen, welche das Fundament für alle weiteren Rhythmusfiguren bilden. Ihre Grundlage wiederum bilden 2er- und 3er-Notengruppen, welche du bereits im Kontext der Zählmethode als Achtel (binär) und Triolen (ternär) kennengelernt hast.

Ergänzt du Akzente (TA), ergeben sich die 12 Grundrhythmen der Musik.

#1 Das Singen der Grundrhythmen besteht nur aus den Silben TA und te und stellen nicht mehr als das rudimentäre rhythmische Fundament einer Rhythmusmelodie (Dum, Ta/te, tz, Da/de) da.

#2 Neben der klanglichen Interpretation, welche das Thema Orchestrierung umfasst. Müssen wir sie auch räumlich interpretieren, denn wir können sie in unterschiedlichen Notenwerten spielen.

#3 Die Grundrhythmen basieren auf der kleinstmöglichen Einheit, welche musikalisch denkbar ist: 2er- und 3er-Gruppen. Alle weiteren Rhythmusfiguren (4er,5er,6er…) sind lediglich Kombinationen aus diesen Basisrhythmen.


Vorübungen mit dem Metronom

Die beste Art und Weise ein Konzept zu verstehen ist die Anwendung in der Praxis. In der Praxis wirst du erkennen, welche Auswirkungen das Singen auf dein rhythmisches Verständnis hat. Beginnen wir mit zwei Vorübungen ohne Instrument.

#1 Unterteilung des Pulses in die kleinste rhythmische Einheit (te):

#2 Betonung der Rhythmusfigur (Ta und te):


B. Varianten der Singmethode

Ich verwende in meiner Übungsroutine vier verschiedene Varianten der Singmethode. Die erste besteht aus dem Singen der reinen Grundrhythmen (TA,te), die Zweite aus dem Singen der Rhythmusmelodie (TA/te, Dum, tz, DA/de). Ihre Gemeinsamkeit ist das vollständige Singen aller gespielten Noten und vollen Zählzeiten.

#1 Das Singen der rhythmischen Struktur lenkt deine Aufmerksamkeit auf die Essenz der gespielten Rhythmusmelodie: Seiner Akzentstruktur, gesungen als Ta und te. Sie ist der Schlüssel für ein tieferes musikalisches Verständnis und bildet die Basis für das Erkennen von Gemeinsamkeiten von Rhythmen und Stilistiken. Dies geschieht, indem alle Rhythmusfiguren als Kombination einer begrenzten Anzahl von Grundrhythmen interpretiert werden können.

#2 Das Singen der Rhythmusmelodie, welches ich phonetisches Singen nenne, hebt die Rhythmusmelodie hervor und schult dein Bewusstsein zu hören. Das phonetische Singen ist dabei immer eine mögliche Interpretation einer beliebigen rhythmischen Struktur auf deinem Instrument. Das heißt, du lernst einen Rhythmus auf deinem Instrument zu spielen. Dabei folgst du bestimmten Ideen – Konzepten – der Orchestrierung. Indem du lernst Grundrhythmen unterschiedlich zu spielen, treten die Unterschiede zwischen Stilistiken und Rhythmen hervor. Indem du die Rhythmusmelodie vollständig singst, schulst du deine musikalische Vorstellungskraft und du beginnst, musikalisch zu hören.

Zwei weitere Möglichkeit bieten sich dir, wenn du einen Rhythmus nur selektiv singst. Diese Varianten sind vor allem nützlich wenn du einen Groove spielst. Kurze Fills werden weiterhin vollständig mitgesungen!

#3 Das selektive Singen des Grundrhythmus betont nur einen Aspekt des gespielten Rhythmus und schult die Unabhängigkeit deines Bewusstseins. Währen die ersten beiden Varianten Singen und Spielen gleichschalten – du erinnerst dich: Alles, was du spielst, wird verbalisiert -, trennen die Variationen #3 und #4 Singen und Spielen: Du beginnst mehr zu spielen, als du singst. So konzentrierst du dich im folgenden Beispiel auf die Bassdrummelodie und singst sie mit: Spielst du deine Bassdrum, singe TA. Beachte, dass die anderen Zählzeiten als te artikuliert werden! Diese Methode hilft dir, die verschiedenen Elemente deines Spielens zu unterscheiden und ihr Zusammenwirken zu erkennen.

#4 Das selektive Singen der Rhythmusmelodie stellt den Aspekt der Phrasierung heraus. Du singst nur die Hauptbetonungen in deinem Groove mit – im Beispiel: Snare und Bassdrum – und lässt die Hi-Hat ungesungen. Hier werden deine drei Herausforderungen als Schlagzeuger deutlich:

Erstens kommt es drauf an die Hauptakzente der Rhythmusmelodie (#1) nicht zu verändern, sprich den Grundrhythmus eines Musikstückes eindeutig und Timing sicher hörbar zu machen. Zweitens durch verschiedene Konzepte der Orchestrierung des Grundrhythmus die Rhythmusmelodie zu variieren. (#2) Drittens die Rhythmusmelodie gekonnt mit zusätzlichen – hier ungesungenen – Elementen zu phrasieren (#3 und #4). Das simultane Meistern dieser drei Herausforderungen ist das zentrale Lernziel im Schlagzeugunterricht und kann als Vermittlung eines musikalischen Bewusstseins verstanden werden.

Diese Methode wird dir helfen, eine grundlegenden rhythmischen Idee in viele verschieden klingende Rhythmen zu übersetzen und deine musikalische Kreativität wird förmlich explodieren.


Zusammenfassung

Der Unterschied von Zähl- und Singmethode liegt in ihrer unterschiedlichen Art und Weise der Verbalisierung. Während die Zählmethode ein universelles „mathematisches“ Raster vorgibt, folgt die Singmethode dem tatsächlich gespielten Klang.

Aber die beiden Methoden stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich durch ihre unterschiedliche Perspektive aufs musikalische Verstehen. Taktstruktur, Notenwerte und Rhythmusfiguren bilden zusammen ein solides Fundament um Musik zu beschreiben, zu verstehen und zu spielen.

Der Schlüssel für ein gutes Timing liegt, in der Schulung des eigenen Bewusstseins, Rhythmus und Rhythmusmelodie zu erkennen und intuitiv auf dem Instrument auszudrücken. Die vier vorgestellten Varianten legen dabei unterschiedliche Schwerpunkte.

#1 Das vollständige Singen des Grundrhythmus: Schlüsselwörter sind Akzentstruktur, Grundrhythmus und das Heraustellen der Gemeinsamkeiten von Rhythmen und Stilistiken.

.#2 Das vollständige phonetische Singen: Schlüsselwörter hier sind Rhythmusmelodie, Orchestrierung und das Erkennen von Unterschieden zwischen Rhythmen und Stilistiken.

#3 Das selektive Singen des Grundrhythmus: Der Schlüssel ist Unabhängigkeit, Zusammenspiel und musikalisches Hören.

#4 Das selektive phonetische Singen: Das Schlüsselwort ist hier Konzepte der Phrasierung, Kreativität und musikalisches Bewusstsein.

Das was du hören kannst, kannst du spielen

Die hier vorgestellte Methode gelingt nicht von heute auf morgen, sondern es erfordert einiges an Übung. Deshalb gebe ich dir zum Abschluss noch ein paar Tipps mit auf dem Weg:

#1 Beginne mit den Vorübungen und arbeite dich langsam durch die verschiedenen Varianten.

#2 Achte darauf die Vokabeln konsequent und sauber zu singen. Am besten zum Metronom.

#3 Singe die Laute nicht stakkato – sprich kurz und abgehackt –, sondern legato. Interpretiere sie direkt musikalisch, sprich, das was du singst, sollte sich auch ohne Instrument gut anhören.

#4 Sowohl die Zähl- als auch die Singmethode dient zur Übung. Wenn wenn du übst, dann singe oder zähle. Auf der anderen Seite wirst du in einer Live Situation weder konsequent zählen noch singen, sondern hören und fühlen. Deswegen kommt es darauf an, dein Bewusstsein so zu trainieren, dass du „live“ unbewusst zählst und singst: Es passiert einfach, ohne dass du dich darauf konzentrieren musst.

Langfristig wirst du die Unabhängigkeit deines Bewusstsein, die Koordination von Denken und Spielen und deine Fähigkeit des Hörens trainieren. Damit bist du schließlich in der Lage konsequent in Time, kreativer und musikalischer zu spielen.

So wird schließlich aus „Was du singen kannst, kannst du spielen“, ein „Alles was du hören kannst, kannst du spielen.“

Claudius

 

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